Wilhelm Kempf

Begriff und Probleme des Friedens.

Beiträge der Sozialpsychologie. Kurseinheit 1: Aggression, Gewalt und Gewaltfreiheit

98 Seiten, broschiert, Fernuniversität Hagen, 1995.

Während Friedensstudien weltweit zu einem festen Bestandteil innerhalb der Studienangebote zahlreicher Universitäten geworden sind, ist der Institutionalisierungsgrad der Friedenswissenschaften an deutschen Universitäten immer noch rudimentär. Entsprechend gibt es auch keinen tradierten Anforderungskatalog, der bestimmt, welche Lehrinhalte und Lehrziele etwa in einem Kurs über "Beiträge der Sozialpsychologie" zur Klärung von "Begriff und Probleme(n) des Friedens" abzudecken wären.
Einige Hinweise lassen sich jedoch aus einer Arbeit von Galtung (1993) entnehmen. Unter dem Titel "Friedensforschung als universitäres Studienfach - wie geht es weiter?" unternimmt Galtung darin den Versuch, Anforderungen an das Profil von Friedensstudiengängen zu formulieren, welche als Grundlage für die Erlangung des Titels eines "Master of Peace and Conflict Resulution" (MPCR) dienen und die Grundlage für ein Berufsbild des Friedensexperten bilden sollen. Das darin angesprochene Expertentum zeichnet sich sowohl durch theoretische Kompetenz (Politikberatung) als auch durch praktische Kompetenz (Konfliktmanagement) aus.
Einige Prinzipien, die auch für die vorliegende Kurseinheit gelten:

Für die vorliegende Kurseinheit bedeutet dies, daß auch "Beiträge der Sozialpsychologie" zu Aggression, Gewalt und Gewaltfreiheit nicht schlicht "sozialpsychologische Beiträge" sein können, sondern, daß die engen Disziplinengrenzen immer wieder überschritten (transzendiert) werden müssen, daß die Sozialpsychologie nur den Standort bedeuten kann, von dem aus sich der thematische Horizont entfaltet. Friedenspsychologie ist nicht als Teildisziplin der Psychologie zu verstehen, sondern als Friedenswissenschaft unter psychologischer Perspektive.
Innerhalb dieses Rahmens versteht sich die vorliegende Kurseinheit als Grundlagenkurs, der Argumentationshilfen bereitstellen soll, um dem - in Zeiten zunehmender Gewalt - immer lauter werdenden Ruf zu begegnen, man solle doch all dieser Gewalt in der Welt durch einen Befreiungsschlag ein Ende bereiten. Zu diesem Zweck wird erstens untersucht, welche wissenschaftliche Grundlage die Auffassung von den Wurzeln der Gewalt "tief in der menschlichen Natur" (Der Spiegel 3/1994) hat, die nur allzuoft die Grundlage dafür darstellt, Gegengewalt als einzig mögliches Mittel zu betrachten.
So schreibt z.B. Peter Schneider in der FAZ vom 7.9.93:
"Die Idiotie der der zivilen Gesellschaft zeigt sich gerade darin, daß sie Erklärungen für etwas sucht, was nicht erklärt werden kann, keiner Erklärung bedarf und das eigentliche Movens der kulturellen Anstrengung ist: die Tatsache, daß Menschen ein allzu fähiges Aggressionspotential mitbringen, das nur durch eine eher unwahrscheinliche und äußerst fragile Leistung, die gemeinhin Kultur oder Zivilisation genannt wird, in Schranken gehalten wird. Eine Zivilisation, die vergessen hat, warum sie entstanden ist, hat schlechte Karten, dem Ausbruch der Barbarei zu wiederstehen", und weiter unten heißt es: "Es ist bekannt, daß keine Kulturleistung ohne einen gewissen Anteil an Aggression zustandekommt", womit die Plicht zur Gegengewalt erwiesen scheint.
Solche Auffassungen mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen (biologischen wie psychologischen) Aggressionsforschung zu konfrontieren und eine differenzierte Unterscheidung zwischen Aggression und Gewalt herauszuarbeiten, durch welche Fehlschlüsse vermieden werden können, ist eines der Anliegen der vorliegenden Kurseinheit.
Ein zweites Anliegen ist es, aufzuzeigen, daß (auch aggressive) Konflikte nicht notwendigerweise einen gewaltförmigen Verlauf nehmen müssen, daß die Eigendynamik von Konflikten durchbrochen werden kann und daß konstruktive Prozesse der Konfliktbearbeitung möglich sind.
Damit soll die Grundlage gelegt werden, auf welcher der Erwerb praktischer Kompetenzen des Konfliktmanagements und der Konfliktvermittlung (Mediation) erfolgen kann.

Aus dem Inhalt: Friedenspsychologie im Spannungsfeld objektwissenschaftlicher und subjektwissenschaftlicher Theorienbildung * Terminologische Grundlagen: Aggression und Gewalt * Funktion des Gewaltbegriffs: Zwischen Ächtung von Gewalt und Legitimation von (Gegen-)Gewalt * Alltagspraktische Verwendungsweisen des Gewaltbegriffs * Gewaltbegriff und Gewaltbereitschaft * Ursachen von Aggression und Motive der Gewaltausübung * Feindbilder als Gewaltlegitimation * Psychologische Kriegsführung * Die Rolle der Medien * Psychologische Einflußnahme durch Gewaltausübung * Gewalt und Gehorsam * Dynamik von Konflikten * Destruktive und konstruktive Konflikte * Gewaltfreie Konfliktregelung und konstruktive Konfliktbearbeitung * Konfliktvermittlung und Mediation